- Wirtschaftsnobelpreis 1996: James Alexander Mirrlees — William Spencer Vickrey
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Die beiden Volkswirte erhielten den Nobelpreis für ihre Beiträge zur ökonomischen Theorie von Anreizen bei unterschiedlichen Graden von Information.BiografienJames Alexander Mirrlees, * Minnigaff (Schottland) 5. 7. 1936; seit 1969 Professor am Nuffield College in Oxford, England, seit 1995 Professor am Trinity College in Cambridge, England; entwickelte die neue Theorie optimaler Einkommensbesteuerung und Sozialversicherung.William Spencer Vickrey, * Victoria (British Columbia, Kanada) 21. 6. 1914, ✝ New York 11. 10. 1996; 1958-81 Professoran der Columbia University in New York; Stammvater der neuen Theorie von Versteigerungen.Würdigung der preisgekrönten LeistungEffizient kann nur handeln, wer informiert ist. Deutlich wird dies am Beispiel der Einkommensbesteuerung: Während die Finanzbeamten nur unvollständig über die individuellen Eigenschaften der Steuerzahler und die der Besteuerung zugrunde liegende Sachverhalte informiert sind, nutzen die Steuerzahler ihren Informationsvorsprung, um weniger Steuern zu zahlen. Die Steuer sollte daher so ausgestaltet sein, dass die Steuerzahler keine Anreize haben, Steuern zu vermeiden oder zu hinterziehen. Darüber hinaus müsste die Finanzgesetzgebung die richtigen Anreize geben, um unerwünschte Vorgehensweisen der Steuerzahler zu vermeiden. Dieses einfache Beispiel illustriert die grundlegende Fragestellung, für die James Mirrlees und William Vickrey den Nobelpreis erhalten haben: die »Erforschung wirtschaftlicher Anreizeffekte bei asymmetrischer Information«.AnreizsystemeDie gedankliche Durchdringung dieser Problemstellung ist sehr schwierig. Dies zeigt sich gerade bei der Theorie der Einkommensbesteuerung, für die Vickrey das Problem bereits in einem 1945 erschienenen Artikel klar dargelegt hat, dann aber feststellen musste, dass er es nicht lösen konnte. Erst Mirrlees gelang es 1971, Theorien bei asymmetrischer Information dadurch lösbar zu gestalten, dass er für die Ermittlung der richtigen Anreize für Steuerzahler relativ einfach zu handhabende Bedingungen entwickelte. Und erst damit begann der Siegeszug der neueren Theorie der Einkommensbesteuerung.Neben den vielen theoretischen Feinheiten, die das Verständnis einer Einkommensteuer maßgeblich verbesserten, besaß diese Theorie weit reichende politische Wirkung. Mirrlees ging von einer Regierung aus, die bei der Bestimmung der Einkommensteuer verteilungspolitisch orientiert ist und folglich den Nutzen der Ärmeren höher gewichtet als den der Reicheren. Hierdurch werden finanziell Bessergestellte tendenziell mit prozentual höheren Abzügen belastet als Angehörige unterer Einkommensschichten. Um nun den gerade bei den Reicheren verstärkt hervorgerufenen Steuerwiderstand zu brechen, ergaben Mirrlees' Berechnungen wesentlich niedrigere Spitzensteuersätze, als die geltenden Steuergesetze vorsahen. Dass die optimale Einkommensteuer relativ niedrige Steuersätze erfordere, war Wasser auf die Mühlen amerikanischer Steuerreformer, die mit dem US-Präsidenten Ronald Reagan einen Mitstreiter besaßen. Nicht zuletzt deswegen folgte der internationale Trend dem amerikanischen Beispiel.Einen weiteren Untersuchungsgegenstand stellen die Anreizeffekte auf der Staatsausgabenseite — etwa bei der Landesverteidigung — dar. Jeder Bewohner eines Staats wird im gleichen Umfang verteidigt, ohne davon ausgeschlossen werden zu können. Fragt man daher einen Bürger, welchen Beitrag zur Landesverteidigung er bereit wäre zu zahlen, so wird jeder darauf spekulieren, dass selbst wenn er keine Leistung erbrächte, er trotzdem im gleichen Umfang verteidigt werde. Da alle Staatsbewohner so vorgehen, gäbe es bei Anwendung einer solchen Befragung im Endeffekt kein Geld für die Landesverteidigung.Wie soll folglich eine Regierung, die ihre Politik an den Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger ausrichten möchte, vorgehen und das Problem der asymmetrischen Information lösen? Die Regierung weiß zunächst nicht, wie viel die Landesverteidigung jedem Bewohner wert ist. Sie muss daher jedem Einzelnen einen Anreiz geben, auf die Frage, welchen Landesverteidigungsbeitrag er zu zahlen bereit wäre, wahrheitsgemäß zu antworten.Vickrey hat dieses Problem in einem bahnbrechenden Beitrag gelöst und damit die Grundlage für weitere Forschungen gelegt. Sein Grundgedanke: Jeder einzelne Beitragspflichtige wird gefragt, wie viel Landesverteidigung er jeweils wünscht, wenn er alternativ vorgegebene Beiträge zu zahlen hat. Die Regierung verpflichtet sich, die Landesverteidigungsausgaben nach der Höhe der gemachten Angaben der Beitragszahler zu gestalten. Dabei wird den Beitragszahlern bekannt gegeben, dass ihr Beitrag nicht von der eigenen Angabe abhängt, sondern von der durchschnittlichen Zahlungsbereitschaft aller Befragten. Da sich diese somit durch die Angabe der Wahrheit nicht schaden können, werden alle — rationales Handeln vorausgesetzt — die Wahrheit sagen. In der Praxis ist ein solches Verfahren zur Bestimmung des Verteidigungsetats noch nicht angewendet worden. Der Gedanke ist aber in vielen anderen Bereichen der Volkswirtschaftslehre aufgenommen worden und hier auch praktisch zur Anwendung gelangt, etwa wenn in den USA die Kostenerstattung an Krankenhäuser nach den durchschnittlichen Kosten anderer Krankenhäuser vorgenommen wurde.Was ist eine Zweitpreisversteigerung?Betrachten wir zunächst eine »englische« Versteigerung, bei der der Preis sich stufenweise erhöht, bis schließlich nur ein Bieter übrig bleibt, der das zu versteigernde Gut zu dem von ihm angegebenen Preis erhält. Damit hat der Bieter mit der höchsten Zahlungsbereitschaft das Gut erhalten, aber zu einem Preis, der nicht seiner Zahlungsbereitschaft entspricht, sondern der Zahlungsbereitschaft des Bieters, der als letzter ausgeschieden ist zuzüglich des Betrages, um den nach den Versteigerungsregeln ein Gebot jeweils höher liegen muss als das vorige. Unter recht allgemeinen Bedingungen ist dieses Ergebnis effizient, da der Bieter mit der höchsten Wertschätzung das Gut erhält. Allerdings erfährt der Versteigerer nicht die Wertschätzung aller Bieter. Vickrey entdeckte hinter diesem Ergebnis ein allgemeines Prinzip, das er sich bei der Entwicklung optimaler Versteigerungen zunutze machte: Die tatsächliche Zahlung darf nicht vom eigenen Bietverhalten abhängen, will man effiziente Verfahren entwickeln und die wahrheitsgemäße Offenbarung der Wertschätzungen erreichen. Darauf beruht Vickreys Idee, eine Zweitpreisversteigerung durchzuführen. Hierfür betrachten wir eine Versteigerung, bei der alle Gebote gleichzeitig in verschlossenen Umschlägen eingereicht werden. Den Zuschlag bekommt der Bieter mit dem höchsten Gebot, er muss aber nur den Preis des zweithöchsten Gebots zahlen. Der Erlös für den Versteigerer ist praktisch der gleiche wie bei der englischen Versteigerung. Auf der Bieterseite gilt, dass die Person mit der höchsten Zahlungsbereitschaft das Gut bekommt (und das ist wirtschaftlich erwünscht). Der Preis hängt aber nicht vom eigenen Gebot ab, sondern von denen der anderen. Und daher hat kein Bieter einen Anreiz, ein Gebot einzureichen, das nicht seiner tatsächlichen Zahlungsbereitschaft entspricht. Der überraschende Entwurf einer Zweitpreisversteigerung zeigt, wie durch geschickte Anordnung der Einzelschritte und Zuschlagsregeln einer Versteigerung das Verhalten der Bieter beeinflusst werden kann. In neuerer Zeit ist hier ein wichtiger Wirtschaftszweig für Volkswirte entstanden, die sich von ihnen entwickelte Versteigerungsregeln patentieren lassen und gefragte Berater von Regierungsstellen sind, etwa wenn es um die Versteigerung von Lizenzen für Telekommunikationskanäle geht — immerhin hat die Versteigerung der UMTS-Mobilfunklizenzen dem deutschen Finanzminister im August 2000 fast 100 Milliarden DMeingebracht!D. Bös
Universal-Lexikon. 2012.